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Die deutsche Bildungspolitik als ein Mittel zur Sicherung von Egoismus, Konkurrenzdenken und gesellschaftlicher Ungleichheit

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In Hamburg ist die Schulreform, mit der eine sechsjährige Primarschule ermöglicht werden sollte, gescheitert. Obwohl es eine breite Unterstützung der politischen Parteien, von der Linken bis zur CDU, gab, wurde sie in einem Volksentscheid abgelehnt. Wie kann man dies erklären und deuten? Ein sehr guter Ansatz bietet sich bei Telepolis: Niederlage für eine solidarische Gesellschaft

Das ist eine Absage an eine Schulpolitik, die davon ausgeht, dass die “stärkeren” Schüler die “schwächeren” beim Lernen unterstützen können und alle davon profitieren. Zur Bildung gehört nach dieser Lesart auch das Ausbilden von sozialen Kompetenzen, wie Solidarität und gegenseitige Unterstützung. Zu Zeiten der Bildungskämpfe der siebziger Jahre waren solche Werte in großen Teilen der Gesellschaft verbreitet. Das ist aktuell nicht mehr der Fall. So liegt das Hamburger Ergebnis ganz im Trend einer Gesellschaft, in der das Prinzip “Jeder ist seines Glückes Schmied” und “Der Schwache ist selber schuld und soll den anderen nicht zur Last fallen” zum Dogma erhoben wurde . Im Umgang mit Flüchtlingen und Migranten drückt sich diese Politik ebenso aus, wie in den Maßnahmen gegen Hartz IV-Empfänger und eben jetzt auch in der Bildungspolitik.

In einer Gesellschaft, in der es als normal gilt, wenn jeder mit jedem in Konkurrenz liegt, sorgen die Eltern dafür, dass damit schon im Schulalter angefangen wird. Ein solidarisches Lernen wird als Konkurrenznachteil für die eigenen Kinder empfunden [...]

Dass “Volkes Stimme” wie in Hamburg gegen eine ganz große Parteienkoalition von Union, SPD, Grünen und Linkspartei, die sich für die Primärschule aussprachen, stimmte, kann nur verwundern, wer noch immer noch meint, dass “die da unten” oder auch “der kleine Mann” sozialer abstimmen als die politischen Parteien. Eine solche Vorstellung verkennt, wie stark die Idee der Ungleichheit und des Konkurrenzgedanken in großen Teilen der Bevölkerung Konsens sind.

Zu der Glorifizierung des Egoismus in den letzten 30 Jahren und den Folgen, auch auf die Bildungspolitik, schreiben heute auch die NachDenkSeiten. Zum Thema Volksabstimmungen lesenswert ist auch noch ein Artikel beim Freitag (aus dem letzten Jahr): Demokratie als Mogelpackung. Die  These: dem konservativ-elitären Teil der Republik geht es um die plebiszitäre Absicherung der Elitenherrschaft. Dem würde ich nicht unbedingt bedingungslos zustimmen, aber es ist ein interessanter Gedanke.

In der Tat, das herrschende System hat das Bewusstsein fast aller Bürger so stark besetzt, dass eine Verbesserung kaum zu erwarten ist: Keinesfalls von den Profiteuren dieses Systems, die ihre Privilegien in Hamburg gerade verteidigt haben, aber auch kaum von den Benachteiligten dieses Systems. (Ob diese In Hamburg einfach kein Interesse an der Abstimmung hatten, resigniert haben oder sich von der Propaganda der Elite beeinflussen lassen haben, ist schwer zu klären. Wahrscheinlich ist es eine Mischung aus allem.) Seit den Zeiten, als Herber Marcuse “Der eindimensionale Mensch” schrieb, hat sich dies eher noch verschlimmert. Der Neoliberalismus hat die Solidarität in der Gesellschaft auch homöopathische Dosen reduziert. Alugenscheinlich können heute allenfalls noch die Privilegieren mobilisiert werden, um ihre gesellschaftliche Stellung zu verteidigen.

Diese folgen dabei einer egoistischen Zweckrationalität: Die erworbene Unterschiede sollen erhalten werden, gewähren sie doch ihre relative Besserstellung gegenüber dem Rest der Gesellschaft. Die betroffenen Eltern behaupten entgegen den Ergebnissen der Bildungsforschung, dass ihre Kinder durch schlechtere Schüler geschwächt würden. Dass längeres gemeinsames Lernen für alle Vorteile bringt, wissen sie nicht – oder sie wollen es nicht glauben. Dass die Ergebnisse  aller Schüler dadurch insgesamt besser werden, dass die gesamte Gesellschaft profitiert, ist ihnen egal.

Die heute herrschenden Schichten wollen, einer außer Rand und Band geratenen neoliberale Ideologie folgend, nicht wie echte Liberale wie John Rawls eine Gesellschaft, in der materielle Ungleichheit (nur dann) gerechtfertigt ist, wenn sie alle absolut gesehen besser stellt, wenn sie auch den dann relativ schlechter gestellten absolute ökonomische/ materielle Vorteile bietet. Nein, sie verfolgen eine Gesellschaft, in der der Abstand der oberen Schicht, Klasse, wie auch immer man es nennen mag, zu den schlechter gestellten Teilen der Bevölkerung möglichst groß ist, in der ihr Ansehen, ihr Geld, ihre Macht bedeutend mehr sein muss als das der Masse. Dieses Interesse wird gegenüber der Mehrheit der Bevölkerung dann darin verkleidet, dass man behauptet, diese Unterschiede würden allen, auch den Ärmsten, Vorteile gewähren. Doch in Wirklichkeit ist gerade diese Ungleichheit ihr Ziel – möge sie auch mit absoluten Einbußen erkauft worden sein.

Dagegen sprechen wissenschaftliche Befunde, die belegen, dass gleichere Gesellschaften weniger soziale Probleme in den vielfältigsten Bereichen haben und dass hohe Ungleichheit, auch bei insgesamt starker Wirtschaft/ hoher materieller Versorgung für Arme wie für Reiche Nachteile bringt. In ungleicheren Gesellschaften sind die Menschen unglücklicher, und in jedem einzelnen Einkommenssegment sind sie unglücklicher als in egalitären Gesellschafte (oder auch, wie Robert Misik es in dem zuletzt verlinkten und unbedingt zu lesenden Artikel formuliert: Der Egoismus ist sogar für die Egoisten unkomfortabel). Aber kann man einen höheren Zweck der menschlichen Tätigkeit sehen, als das Glück aller zu mehren? Sollte dann nicht die Reduzierung der Ungleichheit ein unumstrittenes Ziel sein?

Die gesellschaftlich herrschenden Schichten nun haben in der Schulpolitik ihre verkürzten, egoistische, oder auch: unvernünftigen Interessen durchgesetzt. Und das haben sie auch in der Hochschulpoliik. Die Einführung des Stipendiensystems des Bundes etwa kann als ein Versuch gesehen werden, soziale Privilegien (Privilegien der Herkunft) zu Privilegien des Geistes (durch den Erhalt eines Stipendiums) umzuetikettieren. Die Oberschicht will sich durch die Stipendienförderungen, die zum ganz überwiegenden Teil ihr zugute kommen werden, weiter nach unten abgrenzen. Dies  erfolgt mit der Argumentation, es hätte ja angeblich jeder dieselben Chancen gehabt – und wer nicht durch ein Stipendienprogramm gefördert wird, hat das selbst zu verantworten.

Das derzeitige Bildungssystem ist somit in fast allen seinen Ausprägungen eines der Mittel, um die  soziale Ungleichheit zu bewahren und in der Bevölkerung Egoismus, Ellenbogenmentalität und Konkurrenzdenken zu verbreiten.

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